In diesem Frühjahr liegt die Einführung von Holokratie bei Voys fünf Jahre zurück. Wo stehen wir jetzt und was haben wir von diesem Organisationsmodell gelernt? Darüber berichten wir in der Reihe „5 Jahre Holokratie“.
Dies ist der dritte und letzte Teil der Reihe. Zu guter Letzt erläutert Wouter, Holokratie- Coach bei Voys, die fünf Lektionen, die wir von Holokratie gelernt haben. Im ersten Teil erklärt der Mitarbeiter Mark, wer in einer selbststeuernden Organisation Entscheidungen trifft. Im zweiten Teil beantwortet Diederick Janse, Mitbegründer von Energized.org und Co-Autor des Buches „Getting Teams Done“, die zehn am häufigsten gestellten Fragen über Holokratie.
Nach fünf Jahren Holokratie ist es Zeit für eine Bewertung. Wo stehen wir jetzt und was haben wir in den letzten Jahren gelernt? Die Antworten auf diese Fragen sind in fünf Lektionen gebündelt, los geht’s mit der ersten.
Wer denkt, mit Holokratie alle Prozesse in einem Unternehmen organisieren zu können, liegt falsch. Das Organisationsmodell beantwortet keine Fragen und löst keine Probleme, die auftreten, wenn man Holokratie einführt. Holokratie ist eine starke Grundlage, man braucht jedoch andere Dinge zu deren Vervollständigung. Es ist gut, sich dessen bewusst zu sein. Das klingt vielleicht negativ, ist aber nicht so gemeint.
Angenommen, man vergleicht Holokratie mit dem Betriebssystem eines Smartphones. Das Smartphone funktioniert, kann aber eigentlich erst mit der Installation von Apps optimal genutzt werden. Diese Apps haben wir bei Voys im Laufe der Jahre selbst hinzugefügt: Vergütung, Strategie, Feedback, Ressourcenzuweisung und Rollenfindung.
Unser Vergütungsmodell existiert noch nicht so lange. Wer als neuer Mitarbeiter bei Voys anfing, bekam eine globale Gehaltsangabe und die Möglichkeit, zu verhandeln. Das bedeutete, dass ein Studienabsolvent so viel verdienen konnte wie ein Mitarbeiter, der bereits seit Jahren in der Branche arbeitet. Darüber hinaus hatten die Mitarbeiter wenig Aussicht auf stabiles Wachstum bei Voys. Diese Faktoren führten zu Spannungen. Spannung ist in der Holokratie der Unterschied zwischen der jetzigen Situation und der, wie sie sein könnte.
Anhand der Spannung haben wir uns auf die Suche gemacht. Das Baarda-Modell stellte sich als transparenteste und klarste Belohnungsart heraus. Dieses Modell macht deutlich, wo ein Mitarbeiter steht und auf welche Wachstumssituation er oder sie hinarbeiten kann. Wir haben das Baarda-Modell nicht einfach übernommen, sondern in einem wesentlichen Punkt angepasst: In unserem Modell steht der Mensch und nicht die Arbeit im Mittelpunkt.
Holokratie bietet keine Instrumente für die Erstellung von Strategien. Dazu lassen sich vorhandene Beispiele nutzen, letztlich muss man jedoch letztlich selbst einen Prozess entwerfen. In den ersten zwei bis drei Jahren unserer Arbeit mit Holokratie hatten wir keine Methode, um mit dem gesamten Unternehmen eine gut abgestimmte Strategie zu erreichen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Wir verwenden eine angepasste Methode aus dem Buch „Scaling up“ (Hochskalieren) von Verne Harnish. Seinem Beispiel folgend nutzen wir den OPSP: One Page Strategic Plan (1-seitiger Strategieplan).
Oft werden wir bei Voys gefragt, wie wir unsere Arbeitsweise und insbesondere den Strategieprozess gestaltet haben. Deshalb haben wir darüber ein e-Book geschrieben, das hier kostenlos heruntergeladen werden kann (in niederländisch).
Feedback zu geben und zu erhalten ist bei Voys extrem wichtig. Wir möchten auf eine Feedbackkultur hinarbeiten, in der das Geben und Erhalten von Feedback normal ist. Feedback trägt nämlich zu guten gegenseitigen Beziehungen bei und viel wichtiger: Die Mitarbeiter wachsen und somit auch das Unternehmen.
Feedback ist jedoch kein Element der Holokratie. Das Modell arbeitet mit Rollen, nicht mit Personen. Auf diese Weise fördert Holokratie das Geben von Feedback zu einer Rolle, die jemand innehat, eher als zur Person selbst. Im Idealfall wird auf diese Weise verhindert, dass Mitarbeiter sich persönlich angegriffen fühlen.
Dennoch empfindet auch jemand, der in der eigenen Rolle angesprochen wird, dies als real und persönlich. Nicht jeder reagiert in gleicher Weise auf Feedback, und das ist in Ordnung. Manche fühlen sich angegriffen – teilweise zu Recht, teilweise zu Unrecht. Bei Voys fehlen noch Prozesse für den Umgang mit diesen Aspekten des Feedbacks.
Hier gibt es noch viel Raum für Verbesserungen, aber wir arbeiten dran.
Innerhalb der Holokratie kümmert sich normalerweise der Lead Link um das Geldausgeben als eine seiner oder ihrer Verantwortlichkeiten innerhalb des Zirkels. Bei Voys ist dieser Aspekt anders gestaltet: Bis zu einem bestimmten Betrag darf jeder Mitarbeiter Ausgaben tätigen, ohne Rücksprache zu halten. Wir vertrauen darauf, dass der Mitarbeiter gut über die Ausgabe nachdenkt und nicht einfach so Geld ausgibt.
Zwischen dem Betrag X und einem Betrag Y bespricht der Mitarbeiter die Ausgabe mit dem Lead Link. Liegt der Betrag über Y? Dann gibt es weitere Formalitäten. Der Mitarbeiter schreibt dann einen Vorschlag, in dem er oder sie die Ausgabe begründet. Dieser Vorschlag geht dann an die Rolle Investigator. Derjenige, der diese Rolle innehat, beurteilt den Vorschlag und entscheidet, ob der Betrag ausgegeben werden darf.
In der Holokratie ist der Lead Link eines Zirkel für die Rollenfindung verantwortlich. Er oder sie sorgt dafür, dass die Rollen von geeigneten Personen ausgefüllt werden. Angenommen, Sie haben ein Kundenkontaktteam. Die meisten Rollen in diesem Zirkel konzentrieren sich auf den Kundenkontakt als solchen, es müssen aber auch Handbücher geschrieben werden. Wer diese Rolle übernimmt, muss entsprechende sprachliche Fähigkeiten besitzen. Die Verantwortung des Lead Links ist es, diese Handbücher-Rolle einer Person zuzuweisen, die gut schreiben kann und dies vielleicht auch gerne tut.
Bei Voys wird die Rollenfindung noch um die TMA Talentanalyse ergänzt. Diese Analyse zeigt die Motivation, Kompetenzen und Talente auf. Alle Mitarbeiter durchlaufen eine TMA, auch wer sich bei uns bewirbt. Der Lead Link kann beispielsweise anhand seiner Erfahrungen mit dem (neuen) Mitarbeiter, dessen Leistungen und auf der Grundlage der TMA prüfen, ob die Rolle passt.
Lektion zwei besagt, dass Holokratie ständig praktiziert werden muss. Bei Voys geschah Folgendes: Nach der Implementierung von Holokratie standen wir eine Zeit still und haben unsere Holokratie- Fähigkeiten nicht weiter entwickelt. Im Nachhinein wurde deutlich, dass es anders besser gewesen wäre.
Da Voys schnell gewachsen ist, kamen in relativ kurzer Zeit viele Mitarbeiter dazu. Sie durchliefen eine innerbetriebliche Schulung, wurden aber mit Methoden und Gewohnheiten konfrontiert, die sich die Zirkel und Mitarbeiter selbst beigebracht haben. Zum Beispiel, wie Besprechungen geführt werden und wie man sich gegenseitig auf Rollen anspricht. Um den Wissensstand zu erhöhen und Gewohnheiten abzulegen, haben wir Mitte 2019 mit zusätzlichen Schulungen begonnen. Dies tun immer mehr Mitarbeiter: Sie nehmen an Schulungen teil, sowohl intern als auch über externe Coaches.
Die Lektion daraus lautet: Man sollte jedes Jahr in das Wissen und die Fähigkeiten von neuen und bestehenden Mitarbeitern investieren.
Die dritte Lektion dreht sich um Führung. Die Tatsache, dass eine Organisation nach Einführung von Holokratie keine Führungskräfte mehr hat, bedeutet nicht, dass keine Führung notwendig wäre. Jedem Voys-Mitarbeiter wird ein bestimmtes Rollenpaket zugewiesen. Für die Erfüllung einer Rolle ist ein gewisses Maß an Autonomie und Führung erforderlich, denn wer eine Rolle erfüllt, hat darüber die volle Kontrolle. Jeder ist für seine Rolle und die damit verbundene Arbeit verantwortlich.
In dem Auswahlprozess achten wir also sehr genau darauf, ob der Kandidat über bestimmte Fähigkeiten für die zu besetzende(n) Rolle(n) verfügt. Neben den Fähigkeiten achten wir auch darauf, ob jemand zur Organisation und der Organisationsform von Voys passt. Kann der neue Mitarbeiter diese Rolle weiter entwickeln?
Es bleibt Menschenwerk und nicht jeder trifft gern autonome Entscheidungen. Möglicherweise möchte jemand die Meinung aller einbeziehen oder die Zustimmung einer bestimmten Person erhalten, um eine Entscheidung zu treffen. In der Holokratie ist eine solche Abstimmung nicht erforderlich, das Verhalten ist aber verständlich. Dem kann eine Angst vor Gesichtsverlust zugrunde liegen: Die Entscheidung könnte ja Konsequenzen für andere Mitarbeiter haben, die damit nicht einverstanden sind. Bei Voys wird von jedem Mitarbeiter ein gewisses Maß an Führung und Autonomie abverlangt. Wir erwarten, dass Mitarbeiter aus ihrer Rolle heraus Unternehmergeist zeigen.
Vielfach treten in Organisationen, die mit Holokratie anfangen, ehemalige Führungskräfte in ihrer neuen Rolle eines Lead Links im Punkt Führung einen zu großen Schritt zurück. Ihnen ist nicht ganz klar, wie sie diese Qualitäten in der neuen Rolle einsetzen können. Ist das der Fall? Dann wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, denn persönliche Führungsqualitäten sind in der Holokratie extrem wichtig. Der Unterschied besteht darin, dass diese Eigenschaften für jeden Mitarbeiter relevant sind, nicht nur für Mitarbeiter in einer Führungsposition, die es jetzt nicht mehr gibt.
In der Holokratie stehen die Arbeit und die Rollen im Mittelpunkt und nicht diejenigen, die die Arbeit ausführen und die Rollen ausfüllen: die Mitarbeiter. Die Arbeit wird dadurch sehr eindeutig, was gut ist. Aber was ist mit den Mitarbeitern? Wer sorgt beispielsweise dafür, dass wir mit der Arbeit etwas anfangen können? Wer organisiert die Vergütung?
In der Holokratie sollte man sich immer fragen: Geht es in meiner Rolle darum? Ein einfaches Beispiel: Ihnen passt das Mittagessen nicht, das auf den Tisch kommt, oder das Monatsgehalt. Dann kann es sein, dass Ihre Rolle daran nichts ändern kann. In diesem Fall wenden Sie sich an die Rolle, die den betreffenden Aspekt regelt, und zwar Sie als Person und nicht in einer ihrer Rollen. Die Spannung in Bezug auf das Mittagessen oder das Gehalt darf die Arbeit in Ihren Rollen nicht beeinträchtigen. Die Spannung spüren Sie nämlich als Person und nicht in einer der Rollen. Aber wir sind alle nur Menschen und deshalb ist es nicht immer einfach.
Im Volksmund heißt es, die Mitarbeiter machen eine Organisation aus. In der Holokratie macht die Arbeit die Organisation aus. Da das Organisationsmodell ausdrücklich nichts über den menschlichen Aspekt der Arbeit aussagt, müssen Unternehmen diesen Aspekt selbst gestalten. Das ist im Grunde nichts Besonderes: Jedes Unternehmen hat seine eigene Kultur, die mit der Implementierung von Holokratie nicht plötzlich verschwindet.
Die letzte Lektion ist klar und deutlich: Wir sind von Holokratie absolut begeistert, sie funktioniert hervorragend. Zugegeben, das Organisationsmodell ist nicht vollständig und man muss selbst Elemente hinzufügen, damit jeder seine oder ihre Arbeit besser ausführen kann. Die Regeln der Holokratie verdeutlichen jedoch, wer wofür verantwortlich ist. Da die Arbeit im Mittelpunkt steht, sind die Mitarbeiter in Bezug auf ihre Arbeit selbständig. Jeder Mitarbeiter hat von seinen Rollen und seinem Kreis her ein Ziel, einen Zweck. Innerhalb der Organisation kann jeder viel Verantwortung tragen, die vielleicht sogar über mehrere Kreise verteilt ist. Auf diese Weise können Mitarbeiter ihr Wissen erweitern und sich in mehreren Bereichen aktiv einsetzen.
Ich kann mir jedenfalls nichts Besseres wünschen. Dies hängt natürlich auch mit der Kultur zusammen, die wir als Voys-Mitarbeiter gemeinsam geschaffen haben. Eine Kultur, in der man weiterlernen kann und soll, in der das Feedbackgeben immer normaler wird. Eine Kultur, die genug Sicherheit bietet, um Fehler zu machen, und in der man vor allem die Arbeit ausführen darf, die einem liegt.
Die Umsetzung der Holokratie stellt sich als fortlaufender Prozess heraus. Das ist in Ordnung, denn es hält uns in Bewegung. Natürlich bleiben Verbesserungspunkte bestehen und es kommen neue hinzu. Wir nutzen Holokratie als System, um Lösungen dafür zu finden. Wir tun dies mit einem Ziel vor Augen, und der Weg dorthin besteht aus kleine Schritten.
Möchten Sie mehr darüber erfahren? Wir haben bereits über Holokratie und unsere Arbeitsweise bei Voys geschrieben. Für weitere Informationen können Sie sich natürlich auch direkt mit mir in Verbindung setzen. Sie erreichen mich über wouter.koetze@voys.nl.